Mittwoch, 29. April 2009

Jagdausflüge und Fischfang






Noch trägt das Eis auf den Seen, auf denen sich schon Tauwasser gebildet hat, und es liegt eine dünne Schneedecke auf den Sümpfen, so dass man mit dem Motorschlitten zu Jagd und Fischfangausflügen aufbrechen kann. Es ist gerade die Zeit der Schneeschmelze in der Schwäne, Enten und Gänse aus dem Süden zurückkehren. Wir haben sogar schon Kraniche gesehen.


Die Jäger verständigen sich untereinander und mit ihren Frauen Zuhause per Mobiltelefon.



Viele Stadtbewohner nutzen ihre Kontakte zu Chanten, um auf deren Land einem der beliebtesten Hobbys russischer Männer nachgehen zu können. Tolik der Moldawier ist bereits seit über 20 Jahren mit der Familie Kechimov befreundet. Er hat mit dem verstorbenen Familienvater Vasilij von einem Teller gegessen, wie sich Valentina ausdrückt.





Leider waren weder die Jagd, noch das aufwendige Löcher bohren im Eis von Erfolg gekrönt. Auch die Zherlicy, Fallen für Raubfische, richteten nicht ihre roten Fähnchen auf. Also gibt es weder frischen Fisch noch Geflügel und wir ernähren uns von den Rentierfleischvorräten, die noch aus dem Winter in der Tiefkühltruhe lagern, und Einkäufen aus der Stadt.

Dienstag, 28. April 2009

Frühjahrswohnplatz der Kechimovs


In der Zeit, in der die Rentiere Junge bekommen, werden sie in einen großen Pferch auf den Frühjahrsweiden gesperrt. Hier stehen leichte Behausungen, fast Zelte, die man früher mit Birkenrinde, jetzt mit schwarzer Plastefolie verkleidet.


Zusammen mit den Rentieren von Kechimovs weiden die von zwei weiteren verwandten Familien, die auch häufig ins nahegelegene Winterhaus von Valentina zu Besuch kommen. Der kleine neugierige Tolik möchte sich gern mit mir unterhalten, aber er versteht mein Chantisch nicht und Russisch kann er noch nicht.


Den Bullen wachsen bereits frische Geweihe, während die Rentierkühe noch ihre Vorjahresgeweihe tragen. Sie werden sie erst abwerfen, nachdem sie ihre Jungen bekommen haben und die Neugeborenen nicht mehr verteidigen müssen.


Valentina und Vladik wohnen noch im Winterhaus am Fluss, an dem sich auch die „Telefonzelle“ befindet, ein Stuhl, von dem man Verbindung zum Mobilfunknetz hat.

Unangenehme Abenteuer

Nachdem die Zeit der Rentierhalterfeste erst mal vorüber ist, nehme ich das Angebot von Familie Kechimov an, auf ihren Wohnplatz zurückzukehren und hier den Beginn des Frühlings zu erleben. Von den Jagdausflügen und dem Beginn der Schneeschmelze werde ich in den nächsten Tagen berichten.

Eines Tages taucht am anderen Flussufer ein unbekannter Jeep auf. Aus ihm steigt ein Polizist, der Nachforschungen zu einem Messer anstellt, das waffenscheinpflichtig sei und wohl im Unglückswagen gefunden wurde (zum Unfall siehe Eintrag vom 20. Februar 2009). Er besteht darauf die Papiere aller auf dem Wohnplatz anwesenden zu kontrollieren. Als er mitbekommt, dass ich Ausländer bin, zwingt er mich in die Stadt mitzukommen. Es wird eine lange Fahrt über schlammige Straßen und ich werde den Rest des Tages bis nachts um drei Uhr im Jeep und in der Polizeiwache verbringen. Angeblich müssten hier jetzt alle Ausländer, deren Papiere zufällig kontrolliert würden, erkennungsdienstlich behandelt und Finger- und Handabdrücke, Kopien der Ausweispapiere und „Verbrecherfotos“ in eine Kartei eingefügt werden. Als ich nach Seife oder wenigstens einem Lappen frage, um die schwarze Farbe von meinen Händen zu waschen, erklärt man mir, die gäbe es nicht, man sei zu arm. Dafür kann ich mir einen Eindruck von den sogenannten 'Affenkäfigen' machen, den Zellen, in denen Betrunkene die Nacht verbringen, und diese sich lauthals darüber beschweren hören, dass man sie seit Stunden nicht ihre Notdurft verrichten lasse. Sie bekommen als Antwort nur, sie sollen doch auf den Boden machen, das würde schon weggewischt. Immerhin bietet mir der Fahrer des Polizeiwagens an, bei ihm zu Hause zu übernachten, als der Wagen auf dem Rückweg auf halber Strecke den Dienst versagt. Dann schaffen wir es doch noch nach Kogalym zurück, wo er repariert werden kann und ich gelange tatsächlich nach drei Uhr wieder ans Ufer des Flüsschens, auf dessen anderer Seite der Wohnplatz von Kechimovs liegt. Glücklicherweise funktioniert der Mobilfunk und ich kann per Handy jemanden wecken, damit man mich mit dem Schneemobil über das bereits tauende Eis transportiert. Zu Fuß wäre es bereits zu gefährlich.

So ging meine Begegnung mit den Vertretern der Staatsmacht doch noch glimpflich zu Ende. Ich hatte mich schon in den Zellen irgendeines Geheimdienstes gesehen. An meinen Papieren konnte man auch nicht so recht einen Fehler entdecken. Immerhin weiß ich jetzt, wie sich Ausländer beispielsweise in Deutschland fühlen, wenn sie alleine durch ihre Anwesenheit unter dem Generalverdacht stehen, die Aufenthaltsgesetze verletzt zu haben.

Sonntag, 19. April 2009

Rentierfest in Russkinskaja und Kogalym

Mit den Festen anlässlich des „Tages des Rentierzüchters“ im Dorf Russkinskie am 28.03. und in der Erdölstadt Kogalym am 11.04. schließe ich meine Besuchsreihe dieser Art von Festivitäten ab. Beginn und Höhepunkt bilden hier die Rentierschlittenrennen.



Da es inzwischen unmöglich geworden ist, mit den Rentiergespannen direkt in die Stadt zu fahren, weil überall Straßen und Erdölfelder entstanden sind, transportieren die Erdölfirmen als Hauptsponsoren die Rentiere mit LKWs zum Festplatz.


Beim letzten dieser Feste geht ein Rentiergespann durch und überfährt mich frontal. Meine Nase wird verletzt und muss im Krankenhaus genäht werden. Wie durch ein Wunder bleibt die Kamera und der Rest meines Körpers heil.


In Russkinskaja kann ich vor dem Fest die Versammlung der Ureinwohner besuchen und aufzeichnen, wie die örtliche Verwaltung und Vertreter von Betrieben Rechenschaft ablegen und Auszeichnungen verteilen. Die Chanten nutzen die Gelegenheit Beschwerden und Klagen vorzubringen. Das Ganze erinnert sehr an Versammlungen zu Sowjetzeiten und es kommt auch nur ein kleiner Teil der Einwohner.



Neben den Rentierrennen finden noch allerhand Sportwettkämpfe statt, die als typisch für die Nordvölker gelten, jedoch zu Zeiten der Sowjetunion „entwickelt“ wurden. Dazu gehört auch der Ringkampf an dem hier Vladik Pokachev teilnimmt, den ich auf dem Wohnplatz im Wald kennengelernt habe.


Im Vergleich zum vergangenen Jahr hat die Zahl der Souvenirstände zugenommen. Vom Bärenfell bis zu Spielzeugchanten in Spielzeugzelten sind hier alle möglichen und unmöglichen Souvenirs zu erwerben.


Auf dem Wohnplatz der Sopochins


Zwischen dem Fest des „Tages des Rentierzüchters“ im Dorf Russkinskaja und dem in der Stadt Kogalym wohne ich im Wald bei Josif Ivanovich Sopochin, einem der wichtigsten Rentierzüchter in der Region Kogalym. Ich bin bereits bei den vorherigen Forschungsaufenthalten bei seiner Familie zu Gast gewesen und er war fast gekränkt, dass ich es im Winter nicht geschafft habe, bei ihm vorbeizuschauen. Bei jedem Aufenhalt werde ich ein wenig mehr in den Alltag der Familie integriert. Josif Ivanovich ist sehr misstrauisch gegenüber jeder Form von Medien. Sein verstorbener Vater Ivan Stepanovich war einer der wichtigsten und meistgefilmten Schamanen der Region und Josif hat deshalb schon mit Journalisten und Forschern unangenehme Erfahrungen machen müssen, die intime Detail der Familie offenbarten. So mache ich während meines Aufenthaltes überhaupt keine Fotos von der Familie von Josif Ivanovich. Umso mehr lerne ich darüber, wie die Tradition aus Josifs Sicht richtig nach außen hin dargestellt werden soll. Jeden Morgen werden die Rentiere, die in der Umgebung die Flechten unter dem Schnee suchen zum Haus getrieben.


Hier lassen sie sich freiwillig in eine Umzäunung sperren, weil sie wissen, dass sie hier von den Frauen mit Futter versorgt werden.


Mit dem Lasso gefangene Tiere werden vor die Schlitten gespannt, bekommen Markierungen des Besitzers in die Ohren geschnitten oder Jungbullen werden kastriert.



Es sind die ersten Tage, an denen die Sonne den Schnee zum Tauen bringt, und so müssen die Fellstiefel jeden Tag zum Trocknen aufgehängt werden.


Einen besonderen Augenmerk schenke ich in meiner Forschung der Bedeutung des Wegenetzes, dass sich durch die Erdölfelder grundlegend verändert hat. Heute können viele Rentierzüchter mit dem Auto von der Stadt fast bis zu ihren Wohnplätzen im Wald fahren. Früher war das nur mit dem Rentierschlitten möglich. Auch an den Autowegen finden sich die traditionellen mit der Axt angebrachten Wegmarkierungen, die auch bei schneeverwehten Wegen die Orientierung ermöglichen. Diese Art von Markierung heißt Wakem-Juch.