Dienstag, 16. Dezember 2008

Fragen I

Ein Freund aus Berlin stellte mir per E-Mail ein paar Fragen, die ihm beim Lesen meiner Texte gekommen sind. Das brachte mich auf die Idee, ein bisschen mehr über die Bedingungen zu schreiben, unter denen ich hier forsche.

Warum hast du eine Wohnung in Halle?

Nach der Wende wurde in Halle an der Saale das erste Max-Planck-Institut für Ethnologie eröffnet. Früher hieß diese Wissenschaft im deutschsprachigen Raum auch Völkerkunde, hier in Russland spricht man von Ethnografie und in den anglophonen Ländern studiert man Social Anthropology. Am Institut (www.eth.mpg.de) wurde ein Zentrum für Sibirienforschung eingerichtet, dass die jahrhundertealte Tradition der Erforschung Sibiriens in Deutschland fortsetzen soll. Der bekannteste Sibirienforscher ist wohl Alexander von Humboldt (1769-1859). Den Ob entlang reiste aber 1876 zum Beispiel auch Alfred Brehm (der Autor von Brehms Tierleben). Am Sibirienzentrum schreibe ich also meine Doktorarbeit, die ich spätestens 2010 beenden werde.

Hast du einen Laptop mit?


Diesen Blog kann ich schreiben, weil mein Institut mich für die Reise mit einem Laptop ausgestattet hat. Strom gibt es hier fast überall. Selbst auf den Wohnplätzen im Wald wird mit Einsetzen der Dunkelheit der mit Benzin oder Diesel betriebene Generator angeworfen. Ins Internet gehe ich gewöhnlich in der Hotellobby des einzigen Hotels hier in Kogalym. Pro Megabyte zahle ich dort 12 Rubel, d.h. 33Cent. Auf der Post gibt es auch einige Computer, die ans Internet angeschlossen sind. Die sind aber meist von Ego-Shooter spielenden Kindern besetzt. „Leg sie um!“ oder „Erschieß die Geiseln!“ u.ä. schallt dann ständig lautstark durch den Raum.

Auf dem Wohnplatz von Juri Vella habe ich aber auch über das Handy der Tochter Lada, Bluetooth und den Computer der Schule Internetverbindung gehabt. Leider hat mein Handy keine Bluetoothverbindung, sonst könnte ich eigentlich fast überall, wenn auch relativ kostenintensiv ins Internet.

Was bist du für die Chanten, der kauzige Forscher, ein Freund der Familie oder einer von ihnen?

Eine Frage, die ich mir selbst hier auch oft stelle: Sicher von allem ein bisschen, wobei das letzte nicht zu verwirklichen ist. Ich versuche mich, so gut es geht, in den Alltag einzufügen. Meine Gastgeber versuchen sich mir gegenüber von der „besten Seite“ zu zeigen. Hier in der Gegend sind vor allem Vorurteile über die Chanten im Umlauf, die aus ihnen entweder versoffene Wilde und Primitive machen oder sie zu naiven Naturkindern verklären. Vom Leben der Rentierzüchter vermitteln die Medien und offizielle Feste, wie der „Tag des Rentierzüchters, Jägers und Fischers“, nur eine Spielzeugvariante, lustige Tänze und niedliche Rentiere und im unschuldigen Naturzustand lebende Ureinwohner, deren Kultur durch die großzügige Unterstützung von Staat und Erdölindustrie vor dem Untergang gerettet wird. Industrie und Behörden zeigen ihre humanitäre und soziale Seite und die Empfänger der „Hilfe“ wissen durchaus davon zu profitieren. Das Reklameimage darf dabei aber nicht in Gefahr geraten.

Der Alltag sieht natürlich anders aus. Allein von Rentierzucht und Fischfang kann kaum noch jemand überleben, Die Preise für Pelztiere im Keller, die Fischfabrik pleite, die besten Rentierweiden, Fischgründe und Jagdgebiete abgeholzt und bebaut. Auf der anderen Seite ermöglichen die Erdölstädte Absatzmöglichkeiten für die Produkte des Waldes, die Straßen erleichtern es zwischen Wald und Stadt zu pendeln und Mobilfunknetze verbinden die Rentierzüchter mit Verwandten und Bekannten in der Stadt. Mancher Rentierzüchter arbeitet einen Monat auf dem Erdölfeld und kehrt dann für einen Monat „Freizeit“ zu seinen Rentieren zurück.

Ich bekomme hier also auch die weniger vorzeigbaren Seiten des Alltags mit. Die Jugendlichen, die keine Rentierzüchter mehr sein wollen, mit den Arbeitsbedingungen auf den Erdölfeldern aber auch nicht zurechtkommen. Familienkonflikte, Unglücksfälle, Gewalt und Alkoholmissbrauch, alles Dinge, die die Chanten nicht verewigt sehen möchten. Ich verletze sozusagen berufsmäßig die Grenzen der Intimität, dringe in Bereiche ein, die man Fremden und schon gar der Öffentlichkeit vorenthält. Das setzt natürlich das Vertrauen meiner Gastgeber voraus, dass ich mit diesen Informationen entsprechend umgehe. So ganz verstehen sie jedoch nicht, was ich hier treibe und was ich die ganze Zeit auf Deutsch in mein Tagebuch schreibe. Schließlich bestehen die Tage doch aus unwichtigen Alltäglichkeiten, nichts, woran sich hier jemand in einer Woche auch nur erinnern würde. Dass für mich interessant ist, wer geduzt und wer gesiezt wird, vor wem die Hausfrau ihr Gesicht hinter einem Kopftuch verbirgt, wie und wann der Sohn das Handy verliert und was für Musik und Videos auf seinem Speicherchip sind, ist für meine Gastgeber schwer verständlich. Scherzhaft meinen sie immer wieder, ich sei ja wahrscheinlich doch ein deutscher Spion, und ich solle ihnen doch sagen, wann die weißen Leute (das heißt die Deutschen, die ja gegen die „roten“ Kommunisten gekämpft haben) wieder gegen Russland in den Krieg ziehen würden. In gewisser Weise gleicht meine Arbeit auch der eines Spions: sich möglichst unauffällig in einen fremden Alltag integrieren und Informationen über Kommunikationsgrenzen transportieren, über die sie normalerweise nicht hinausgelangen.

Bezahlst du denn dafür, dass du bei den Rentierzüchtern forschen darfst?

Nein, ich kaufe mich hier nicht ein. Ich bezahle auch nicht für Informationen. Trotzdem gehört zu den Regeln der Gastfreundschaft hier auch, dass man sich revanchiert. Diese Regeln musste ich aber auch erst einmal lernen: Was für Geschenke bringen Gäste mit? Bevor ich in den Wald fahre, kaufe ich Lebensmittelvorräte ein, von denen ich weiß, dass die Leute im Wald sie brauchen. Manchmal kaufe ich auch Benzin für meine Gastgeber oder lade ihr Handy in der Stadt auf. Perlen für Stickereien und Messingglöckchen für die Rentiere sind auch ein gutes Geschenk. Hier in Kogalym zahle ich der Familie, bei der ich wohne, die Miete für ein Zimmer. Wenn mich Leute irgendwohin fahren, ersetze ich ihnen die Transportkosten.

Ich hoffe jedoch, dass meine Arbeit den Chanten auch indirekt Nutzen bringt. Das Bewusstsein, dass eine Öffentlichkeit für die Interessen der Rentierzüchter existiert, hält die Erdölfirmen wenigstens davon ab, wie in den 70er und 80er Jahren, die Holzhäuser der Chanten, wenn nötig, einfach mit Bulldozern wegzuräumen. Unter anderem deshalb schreibe ich diesen Blog und werde Ende Februar und Anfang März in Deutschland zusammen mit der Regisseurin Olga Kornienko deren Dokumentarfilme über das Leben chantischer Rentierzüchter in Stuttgart, Leipzig und Berlin zeigen.

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