Ich habe beschlossen, meinen Geburtstag auf Chantisch zu begehen. Nämlich gar nicht. Habe mir hier in der Hotelbar, in der ich das W-Lan nutze, eine Büchse Bier gekauft. Es geht mir zunehmend besser. Meine chantischen Gastgeber haben heute die erste Miete für mein Zimmer angenommen. Genauer gesagt hat die Hausfrau, die, wie bei den Chanten üblich, das Geld verwaltet, dieses wie ein heißes Eisen fallengelassen und dann vom Küchenfußboden wieder aufgehoben. Am Abend soll man kein Geld mehr von Leuten annehmen, es darf jedoch vom Fußboden aufgehoben werden. In der trockenen Luft und den überheizten Räumen schlafe ich immer noch schlecht, meine Innereien rumoren, aber ich hoffe, bald in den Wald zu kommen und dann wird sicher alles besser. Ich habe heute auch eine SIM-Karte für mein Handy bekommen. Jetzt kann ich mit den Rentierhirten in der Taiga ebenso wie ins Gefängnis nach Surgut telefonieren.


Mit den roten Pfeilen habe ich markiert, wo ich wohne. Auf der Satellitenkarte aus Google-Earth sieht man die eigentliche Stadt mit dem roten Pfeil. Die anderen Stadtteile sind Industriegebiete und Datschensiedlungen (Wochenend-Grundstücke). Um die Stadt herum erkennt man die Sümpfe und die Wasserflächen der meist kreisrunden Seen.



Auf dem Plan der Stadt aus dem Museum sind auch die Stadtviertel eingezeichnet, die nie gebaut wurden. Sie war eigentlich doppelt so groß geplant. Ende der 80er Jahre ließen der Ölboom und damit auch der Zuzug nach. Die Bevölkerung wächst trotzdem ganz leicht. In Russland hofft man, dass mit dem Klimawandel die Unwirtlichkeit des Nordens abnimmt und mehr Menschen herziehen werden. Die Stadtbewohner fühlen sich hier wie auf einer Insel inmitten eines unwirtlichen und unheimlichen Ozeans in dem alleine die Straßen auf die Ölfelder führen.

Die Stadt versucht der Monotonie der Plattenbauten zu entkommen. Man stellt Denkmäler an jeder Ecke auf, die Straßen werden mit Gitterchen begrenzt und Kioske und Hauseingänge bekommen klassizistische Giebelchen. Kogalym gilt als eine der wohnlichsten und ordentlichsten Städte hier im Norden. Es ist die Hauptstadt und Perle der Erdölfirma LUKOIL, des zurzeit größten und mächtigsten russischen Erdölunternehmens.



Das Häuschen mit den Bögen ist eine Bushaltestelle und der Rundbau mit Wasserrad ist ein Café, das eine Wassermühle darstellen soll. Wie die meisten Cafés ist es so gestaltet, dass man nicht auf die Straße sehen aber ebenso auch nicht hineinsehen kann. Wie eine russische Kollegin mir erklärte fühlen sich die Menschen hier unwohl wenn ihnen Passanten auf den Teller schauen können. Warum man Cafébesucher aber deshalb in Gebäuden unterbringen muss, die eher mittelalterlichen Verliesen ähneln konnte ich noch nicht herausfinden. Leider war das Café geschlossen.


Bänke und Blumenkübel verschönern den Aufenthalt auf den Straßen nur im Sommer, aber auch dann stehen sie etwas verloren herum. Sollte mich hier trotz der wunderschönen Umgebung doch noch eine Depression packen werde ich mir die Komödie 'Bella Ciao' ansehen. An Kultur wird in Kogalym jedenfalls nicht gespart.



Im Augenblick teile ich mir tagsüber das Zimmer noch mit chantischen Jungen, die vor allem Ego-Shooter und Autorennen am Computer spielen. Gestern waren sie bis nach Mitternacht unterwegs und haben mit Freunden in der Stadt auf der Straße Bier getrunken, weil ihnen die Bars und Diskos zu teuer waren. Dabei sind ihnen Hausschlüssel und Handy verloren gegangen, aber sie haben Glück gehabt und jemand hat ihnen wenigstens das Handy geborgt, so dass sie ihre Mutti anrufen konnten, die ihres zufälligerweise nicht ausgeschaltet hatte. Ein jüngerer Bruder, der Sportler ist und deshalb nicht trinkt, hat heute das Handy im Schnee in der Nähe des Wochenmarktes wiedergefunden.