Dienstag, 31. März 2009

Dienstag, 24. März 2009

Wiedersehen mit Familie Kechimov

Drei Tage nach dem Fest in Numto mache ich mich auf zu der nächsten ähnlichen Veranstaltung im Dorf Jubilejnoe am Fluss Tromagan. Ich fahre mit Erdölarbeitern in einem Bus aus Surgut. Sie werden von einem Beauftragten der Erdölfirma instruiert, wie sie mit Chanten und Rentieren umzugehen haben. Den Rentieren solle man nicht zu nahe kommen, da diese halbdomestizierten Tiere beißen könnten und auch mit betrunkenen Chanten solle man sich besser nicht einlassen, sondern gleich nach dem Ende des Rentierschlittenrennens zum Bus zurückkehren. Als dem Reiseleiter mitteile, dass man auf mich nicht zu warten brauche, da ich im Dorf bleiben wolle, schaut er mich an, als zweifle er an meiner Zurechnungsfähigkeit.

Ganz im Gegensatz zu Numto ist die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit in Form der Ausflügler aus der Stadt und auch von Fernsehkameras deutlich spürbar. Gegen Mittag machen sich diese jedoch davon und am Nachmittag, als die Wettbewerbe im Wettrennen der Frauen, Lassowerfen und Erklimmen eines Holzmastes stattfinden, erst recht jedoch in der Disko am Abend sind die Einwohner bereits unter sich.


Ich erhalte die etwas zweifelhafte Ehre mit den angereisten Offiziellen und Journalisten an einem extra reich gedeckten Mittagstisch in der Dorfschule versteckt vor den Teilnehmern und angereisten Touristen Platz zu nehmen. Diese Art von Ausgrenzungen und Abgrenzungen, die Kulissen, die bei diesen Festen die Dinge hinter der „Bühne“ von denen auf der Bühne trennen, sind Thema meiner Forschung hier.

Hier im Dorf treffe ich auch viele Bekannte, die bei dem schweren Autounfall vor anderthalb Monaten Verwandte verloren haben. Vladimir Kechimov, dessen Vater umgekommen ist, erzählt mir, dass man sich am nächsten Tag auf den Familienfriedhof in der Taiga zu einer Gedächtnisfeier versammeln werde und willigt ein, mich mitzunehmen.

Eine ganze Gruppe von Freunden und Verwandten macht sich am Morgen mit dem Motorschlitten auf zum Wohnplatz im Wald.

Ich nehme am Mahl der Angehörigen mit den Toten und der Opferung eines Gespanns Rentiere teil, um es mit einem Schlitten den Toten ins Jenseits mitzugeben, muss aber versprechen, keine Fotos davon ins Internet zu stellen.

Zu Gast bei Vasilij Pjak

Auf dem Rückweg aus Numto machen wir Halt bei Vasilij Pjak, dem wichtigsten Rentierzüchter der Gegend und Vizepräsident des Verbandes der Rentierzüchter der Region Chanty-Mansijsk. Auch in seiner Hütte gibt es nur eine Petroleumlampe, mit Hilfe einer Autobatterie können wir jedoch am Abend noch DVDs auf einem kleinen Bildschirm sehen, wie sie für den Betrieb in Autos verkauft werden. Später schlägt Vasilij dann auch noch die Schamanentrommel. Am nächsten Morgen mache ich Portraits von den Gästen auf dem Wohnplatz und von den Rentieren, die Vasilij in das Gatter neben dem Holzhaus getrieben hat.

Freitag, 20. März 2009

Das Fest der Rentierzüchter am Himmelssee

Am 16. März breche ich zu meiner dritten und letzten Reise zu den Chanten innerhalb meines Forschungsprojektes für die Dissertation auf. Meine Gefühle sind gemischt. Die Tour mit der Filmemacherin Olga Kornienko aus Surgut ließ mir nicht viel Zeit, mich in Ruhe vorzubereiten. Ich kann die Reise aber auch nicht verschieben, weil ich rechtzeitig zu den Festivals zum „Tag des Rentierzüchters“ in den Chantensiedlungen sein will.
Während des Zwischenstops auf dem Flughafen Vnukovo in Moskau werde ich von Olga Kornienko angerufen, ob ich bereit sei, am nächsten Morgen nach meiner Ankunft nachts um zwei Uhr in Surgut weiter in eines der entlegensten Dörfer der Region, nach „Numto“ (übersetzt „der Himmelssee“), zu fahren, um das dortige Rentierhalterfest zu besuchen. Ich zögere nicht und sage zu.


Die Fahrt dorthin dauert einen ganzen Tag, zuerst mit dem Kleinbus über die Betonstraßen der Erdölfelder und die letzten 40 km auf dem Motorschlitten.
Die Temperatur ist hier noch unter 20 Grad minus. Wir fahren mit einem Angestellten der Erdölfirma Surgutneftegaz, die in der Region von Numto neue Erdöllagerstätten erschließt und deshalb als Hauptsponsor des Rentierzüchterfestes auftritt. Der Chantenbeauftragte der Erdölfirma trägt die chantische Kleidung aus Rentierfell, die Maliza und die Fellstiefel. Ich bin überrascht, auch die Verwaltungschefin der Administration in einem reichverzierten chantischen Mantel zu sehen.


Sie verteilt die Preise für die verschiedenen Disziplinen im Rentierschlittenrennen, das die Hauptattraktion des Festes darstellt. Die Gewinner werden u.a. mit einem Bootsmotor, einer Motorsäge, einem Elektrogenerator ausgezeichnet, die Gewinnerin unter den Frauen erhält eine Nähmaschine.
Am schwierigsten ist die Disziplin stehend auf dem Rentierschlitten, nur eine Handvoll Teilnehmer absolviert die ganze mehr als anderthalb Kilometer lange Strecke ohne herunterzufallen.


Das Fest endet in einem grandiosen Besäufnis, mit dem traurigen Ergebnis, dass am nächsten Morgen ein junger Mann erfroren vor seinem Haus gefunden wird. Der einzige Polizist, der in das kleine Dorf mit etwas mehr als hundert Einwohnern und weniger als hundert Gästen nur für das Fest gekommen ist, kann kaum mit den gewalttätigen Betrunkenen fertig werden.


Im Gegensatz zu den Festen zum Tag des Rentierzüchtern in den anderen chantischen Dörfern, die in den nächsten Wochen bis Anfang April stattfinden werden, gibt es in Numto keine Ausflügler aus den umliegenden Städten. Entsprechend gab es auch kein Kulturprogramm und auch die abendliche Disko fiel aus, weil der Dieselgenerator, der sonst das Dorf für ein paar Stunden jeden Tag mit Strom versorgt, ausgefallen war. Wir sitzen im Holzhaus unserer Gastgeberin bei einer rauchenden Petroleumlampe.


Sie berichtet, dass das Rentierzüchterfest in diesem Jahr hier erst zum zweiten Jahr stattfindet. Der abnehmenden Mond Eigentlich hätte das Rentieropfer, das am Vortag stattfand, um den Götter wohl zu stimmen, bei abnehmendem Mond nicht stattfinden dürfen. Es sind viel weniger Schlittengespanne als im letzten Jahr und einige Gäste haben Wodka mit ins Dorf gebracht, den sie für den drei und vierfachen Preis verkaufen (im Dorfladen ist der Alkoholverkauf untersagt). Trotzdem ist es eines der wichtigsten Ereignisse in diesem Dorf, an dem die Beziehungen der Bewohner zu den staatlichen Institutionen und der Erdölindustrie wie in einem Brennglas gebündelt werden.